Thomas Stricker –
Himmel oben, Himmel unten
Text von Anja Schürmann
»Ist nicht der Augenblick der größte, in dem der Mensch die Weite erfährt? (...) den zeitlosen Augenblick, die paradiesische Wirklichkeit erlebt, den freien Raum zu durchmessen – dieser Mensch hat das Paradies in sich.«
(Otto Piene) *
Wo wir sind, wo wir uns befinden und aufhalten können, ist für Thomas
Stricker durchaus verhandelbar: Er hat bereits künstliche Inseln
angelegt, Meteoriten auf einen Baum fallen lassen und holt nun den
Himmel auf die Erde. Nein, eigentlich geht er noch einen Schritt weiter:
Er holt das Weltall unter die Erde. Man hat, wenn man mit der U-Bahn an
der Benrather Straße fahren oder ankommen möchte, nun keine Wahl mehr,
als durch ein Raumschiff zu gehen. Ein Raumschiff, dessen Wände und
Decke edelstahlverkleidet sind: querrechteckige, silberfarbene Platten,
aus denen Punkte als vertikale Linien getrieben wurden. Diese Punkte
können an Blindenschrift genauso erinnern wie an einen tropfenden Code
oder das technoide und modularisierte Innere von Raumschiffen, wie wir
sie aus Star Wars oder Raumschiff Enterprise kennen.
Doch wo wir uns
wirklich befinden, wird vor allem durch die sechs Monitorwände infrage
gestellt: So angeordnet, dass alle Eingänge auf sie zulaufen, öffnen sie
die Erde ins All. Man gleitet durch eine reale Simulation des Weltalls,
passiert Planeten und Monde, kann durch das gleißende Streulicht der
Sterne Krater und Hügel erkennen.
Gefüttert mit Bildern und Texturen der
ESA und NASA hat Stricker in Zusammenarbeit mit der Kölner
Medienkunstagentur 235 Media die Projektion als eine durchgehende Fahrt
konzipiert, die Monitore sind synchron: Blickt man vor einem
Bildschirmstehend zum nächsten, ist es, als ob man aus dem
Beifahrerfenster sieht: Der Komet, der eben noch vor einem erschienen
ist, fliegt nun rechts vorbei, der Raum ist Teil einer 3D-Animation, die
logisch das ›Schiff‹ umschließt.
Es gibt sogar ein Cockpit: Die enge
Zusammenarbeit mit den netzwerkarchitekten ließ es möglich werden, dass
schräggestellte Säulen und Fenster den Blick auf die untere Ebene frei
geben; und man muss, wenn man wieder auf eine Vielzahl silberner Module
blickt, sich kurz vergegenwärtigen, dass die abfahrende U-Bahn kein
Shuttle ist, das gerade den Hangar verlässt.
Nach seinem Skulpturbegriff
gefragt, sagte der Bildhauer Stricker in einem Interview: »Vielleicht
ist eine Skulptur, im besten Fall, ein Ding, welches mir nicht die Sicht
versperrt, sondern meinen Horizont erweitert?« Diese Erweiterung, die
Weitung und Bewegung des limitierten U-Bahnraumes ist in der Benrather
Straße unmittelbar erfahrbar. Sie knüpft an die Utopie der Eroberung des
Weltraumes an, die bereits von den Düsseldorfer Zero-Künstlern als
Legitimation einer neuen Dimensionalität ihrer Kunst erfahren wurde.
Von
Stricker wird sie als quasimeditative Raummetapher verstanden: Sein
›Schiff‹ wird dominiert von Öffnungen, überdimensionalen Verbindungen,
die – zurück aus der Zukunft – Unsichtbares ins Sichtbare bringen. Der
Bildhauer animiert das Nichts, die unendliche Schwärze des Weltalls und
vereint in seiner Umpolung des Raums skulpturale Gegensätze: Materie und
Nicht-Materie, Erde und Himmel. Damit stellt der Raum eine Verbindung
zu den Grundfunktionen der Wahrnehmung her, der Unterscheidung zwischen
Objekt und Umgebung, des Erkennens von Materie.
Die unendlichen Weiten künstlicher Bildwelten werden mit der Beobachtung
des globalisierten Alltags konfrontiert, dass Ferne immer mehr
schrumpft. Bilder, von Satelliten ausgesendet und von Antennen, die die
Dächer von entlegenen Dörfern zieren, aufgefangen, erlauben uns, für
einen Moment innezuhalten, einen Nichtraum zu einem Raum zu machen.
Thomas Stricker schafft so in der Benrather Straße eine begehbare
soziale Skulptur, die sich virtuell öffnen lässt: Ein ‚Schiff’ als sich
durch den Raum bewegende, positive Architektur.
*
aus: Wege ins Paradies, in: Ders. und Heinz Mack (Hg.), ZERO 1, 2, 3, zusammenfassender Neudruck, Köln 1973, S. 146. Back to top