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Planung der Gesamtstrecke, Bauweise und Ingenieurtechnik

netzwerkarchitekten / Schüssler-Plan

Aufgabe und Bedeutung im Kontext der Stadt


Die neue Wehrhahn-Linie ergänzt und optimiert das bestehende U-Bahn-Streckennetz und sorgt für eine bessere Anbindung der östlichen und südlichen Stadtgebiete an das Zentrum. Die Linie unterquert den Straßenraum zentraler Einkaufsstraßen und die innerstädtische Bebauung zwischen Schadowstraße, Berliner Allee, Königsallee wie auch das denkmalgeschützte Jugendstilkaufhaus ‚Kaufhof an der Kö‘ und knüpft am Knotenpunkt Heinrich-Heine-Allee an das bestehende U-Bahn-Netz an. Der größtenteils unterirdische Verlauf ermöglicht eine störungsfreie und barrierefreie Fortbewegung von täglich mehr als 50.000 Fahrgästen; das Zusammenspiel von Individualverkehr und Öffentlichem Personennahverkehr (ÖPNV) wird optimiert, da der Verkehr an der Oberfläche erheblich entlastet wird – die Realisierung der Wehrhahn-Linie sorgt somit für eine bessere, schnellere und gleichberechtigte Mobilität aller Verkehrsteilnehmer – doch nicht nur das: Sie eröffnet auch neue städtebauliche Gestaltungsmöglichkeiten an der Oberfläche. Beispielsweise konnte durch die Verlegung der Stadtbahn unter die Erde und den Wegfall von Straßenbahngleisen auf dem Jan-Wellem-Platz das Projekt ‚Kö-Bogen‘ überhaupt erst realisiert werden.


Planungshistorie


Mit der Planung des verkehrsinfrastrukturellen Großprojekts wurde im September 2000 die Ingenieurgemeinschaft Wehrhahn-Linie (IGW) unter der Federführung des Büros Schüßler-Plan beauftragt. Vorausgegangen war ein europaweites Ausschreibungsverfahren. Bauherrin war die Landeshauptstadt Düsseldorf / Amt für Verkehrsmanagement, das alle Bauherrenaufgaben koordinierte und die Gesamtverantwortung trug.
Zum Leistungsumfang der IGW gehörten die Objektplanung der Ingenieurbauwerke sowie der Verkehrsanlagen als auch die Tragwerksplanung. Auf Grundlage einer Variantenuntersuchung in der Vorentwurfsplanung wurde die Streckenherstellung in Schildbauweise, kombiniert mit der Bahnhofsherstellung in Deckelbauweise, beschlossen. Mit dieser Vorgehensweise konnte dem Anspruch möglichst oberflächenschonender und stadtverträglicher Baumethoden entsprochen werden.

Tunnelvortrieb,
 Tübbinglager, aufgestapelt je ein Ring, Länge 1,50 m, Photo: Implenia /
 Susan Feind
Tunnelvortrieb, Tübbinglager, aufgestapelt je ein Ring, Länge 1,50 m, Photo: Implenia / Susan Feind


2001 dann führte die Stadt Düsseldorf den europaweiten Architekturwettbewerb für die Gestaltung der U-Bahnhöfe der Wehrhahn-Linie durch, wobei hier der Zusammenschluss von Architekturbüros mit Künstlern zwingende Voraussetzung der Teilnahmebewerbung war.
Aus einem Feld von etwa siebzig renommierten Bewerbern konnte sich das Büro netzwerkarchitekten gemeinsam mit Heike Klussmann als Teilnehmer qualifizieren und schließlich das Verfahren für sich entscheiden. Gegenstand des Wettbewerbs bzw. der anschließend vergebenen Planung war die Gestaltung der Bahnhöfe wie auch der beiden Rampenbauwerke am Übergang der Trassenführung zur Oberfläche.
Dem Büro netzwerkarchitekten wurde in der Folge des Architekturwettbewerbes die Objektplanung im raumbildenden Ausbau übertragen, einschließlich der besonderen Leistung der Einflussnahme auf die Rohbaugeometrie des Ingenieurbauwerks. Das Feld der eingebundenen Künstler wurde in einem anschließenden Künstlerwettbewerb um fünf weitere Künstler erweitert.
Während der Bauausführung ergänzten leitende Mitarbeiter des Büros Schüßler-Plan das städtische Projektteam in der Bauoberleitung und der Bauüberwachung. Dem Büro netzwerkarchitekten oblag die künstlerische Bauoberleitung.
Nach entsprechendem Planfeststellungbeschluss und ersten Vorbereitungsarbeiten wurde ab 2008 mit den Leitungs-, Kanalbau- und Spezialtiefbauarbeiten an den Bahnhöfen und ihren Zugängen begonnen. 2010 erfolgten die Tunneltaufe und anschließend, beginnend im Südabschnitt in Bilk, die Tunnelvortriebsarbeiten, die innerhalb von zwei Jahren größtenteils fertiggestellt waren. Parallel zum letzten Tunnelabschnitt zwischen dem ‚Kaufhof an der Kö‘ und der vorhandenen U-Bahn-Station Heinrich-Heine-Allee startete in den im Rohbau fertiggestellten Streckenabschnitten bereits ab Januar 2013 der betriebstechnische Ausbau, zusammen mit dem endgültigen Gleisbau.
Anschließend erfolgten bis zur Inbetriebnahme im Februar 2016 die durch netzwerkarchitekten unter Beteiligung der sechs Künstler geplanten architektonischen Ausbauten sowie die weiteren betriebstechnischen Ausbauten der Stationen.



Herstellung der Tunnelröhren


Wie in der Vorplanung der IGW ermittelt, fand der Tunnelbau überwiegend im Schildvortrieb und somit im Wesentlichen unterirdisch statt. Beim Schildvortriebsverfahren arbeitet sich eine Tunnelbohrmaschine durch den Untergrund. Nach vorn bewegt sich die Maschine durch das Vorpressen und Drehen des Schneidrades gegen das Erdreich.
In Düsseldorf wurde das sogenannte Hydroschildverfahren zum Bodenabbau und Stützen eingesetzt. Die Bentonitsuspension stützt den Boden vor dem Schneidrad, vermischt sich mit der Erde und wird über eine Förderleitung aus dem Tunnel gepumpt. In einer Separieranlage wird das Erdreich von dem Bentonit wieder getrennt und zum Bohrkopf zurückgepumpt. Die Bodenanteile werden deponiert. Direkt noch im Schutze der Schildmaschine wird der Tunnel als einschaliger Tübbingausbau aus ringweise gefügten Betonfertigteilen hergestellt – es kam hier ein achtteiliger Tübbingausbau mit einer Dicke von 45 Zentimetern zum Einsatz. Für den weiteren Vortrieb stützt sich die Schildmaschine auf dem zuletzt gebauten Ring ab und presst den Schildkörper bei gleichzeitigem Abbau des Bodens um die Länge eines Ringes (bei der Wehrhahn-Linie: 1,50 Meter) weiter. Der Bereich zwischen Tunnelaußenseite und umliegendem Boden wird mit Mörtel verpresst.
Der Schildvortrieb mit einer Gesamtlänge von zirka 2,3 Kilometern teilte sich auf in zwei Einzelvortriebe Süd und Ost, die zwischen März 2010 und Dezember 2011 nacheinander mit derselben Tunnelvortriebsmaschine hergestellt wurden. Nach Einsatz im Südabschnitt wurde die Schildmaschine im Zielschacht südlich der Altstadt demontiert, zum Startschacht Ost transportiert und dort remontiert.
Da bei der Wehrhahn-Linie erstmals Niederflurfahrzeuge den Tunnel befahren, ergaben sich spezielle Anforderungen für die Tunnelgeometrie im Hinblick auf die durchgängigen seitlichen Fluchtwegebereiche. Insofern wurde ein Tunnelquerschnitt mit 9,50 Meter Schild-Außendurchmesser und 8,30 Meter Innendurchmesser ermittelt.

Deckelbauweise, Photo: Implenia / Susan Feind
Deckelbauweise, Photo: Implenia / Susan Feind


Herstellung der Bahnhofsbauwerke

Um im Innenstadtbereich unter anderem entlang Düsseldorfs Boulevard Königsallee und der Einkaufsmeile Schadowstraße die Eingriffe an der Oberfläche ebenfalls so gering wie möglich zu halten, wurden alle Bahnhofsbauwerke in Deckelbauweise errichtet. Das bedeutet, dass zu Beginn der Bauarbeiten auf einer Seite der Straße tiefe Schlitzwände und Stützen im Boden versenkt wurden, anschließend die Straße teilweise geöffnet und ein Betondeckel gegossen wurde, der auf den Stützen und den seitlichen Schlitzwänden ruht und damit die Decke des neuen Bahnhofs bildet. In dieser Zeit nutzte der Verkehr die verbleibende Straßenhälfte. Nachdem die Fahrbahn an der ersten Seite wiederhergestellt war, erfolgten die gleichen Arbeiten auf der anderen Straßenseite, während der Verkehr die wiederhergestellte Seite nutzte. Erst nach Fertigstellung des kompletten Deckels wurde mit den unterirdischen Arbeiten für den Bau des jeweiligen U-Bahnhofes begonnen. Der Verkehr konnte somit während der Bauarbeiten aufrechterhalten und die Belastung für Anwohner und Gewerbe so gering wie möglich gehalten werden.
Das Schneidrad der Tunnelbohrmaschine entfernte nicht nur den gewachsenen Boden auf der Strecke zwischen den Bahnhöfen. Es schnitt auch die 80 bis 120 Zentimeter dicken Schlitzwände aus Beton, welche die späteren Bahnhöfe umgaben, kreisförmig auf. Nachdem die Schildfahrt mitsamt Tübbingausbau durch den späteren Bahnhofsabschnitt durchgeführt war, wurde unter dem Deckel, der als Aussteifung fungierte, die Baugrube ausgehöhlt und die stabilisierende Betonkonstruktion des Stationsraums eingebracht.

Tunnelvortrieb, Blick in die aufgefahrene Röhre, Photo: Implenia / Susan Feind
Tunnelvortrieb, Blick in die aufgefahrene Röhre, Photo: Implenia / Susan Feind


Herstellung der Unterfahrung ‚Kaufhof an der Kö‘

Eine Ausnahme in der beschriebenen Herstellung stellte der U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee unter dem denkmalgeschützten Kaufhof dar. Dieser liegt zum größten Teil unmittelbar unterhalb der Gründungselemente des Jugendstilkaufhauses. Um Schäden durch vortriebsbedingte Setzungen zu vermeiden, erfolgte auf zirka 70 Metern ein bergmännischer Vortrieb im Schutze eines temporären Frostkörpers: Hierbei wurde mittels Kälteleitungen das Erdreich unterirdisch vereist. Der 2,50 Meter starke Frostkörper übernahm die Bodenstabilisierung und war gleichzeitig Dichtkörper gegen das anstehende Grundwasser. Innerhalb des stabilen Frostkörpers wurden die Tunnelröhren, Durchbrüche und Bahnhofsquerschnitte quasi von innen herausmodelliert. Hiernach wurde eine stabilisierende Betonkonstruktion eingebracht, die seit dem Auftauvorgang die Druckkräfte des Erdreiches übernimmt.

Tunnelvortrieb, Aushub Schneiderad aus Zielbaugrube Benrather Straße, Photo: Implenia / Susan Feind
Tunnelvortrieb, Aushub Schneiderad aus Zielbaugrube Benrather Straße, Photo: Implenia / Susan Feind


Brandschutz

Im Katastrophenfall gewährleisten zwei Entrauchungsöffnungen am Anfang und Ende der jeweiligen Fahrebene die natürliche Entrauchung sowohl der Streckenabschnitte als auch der Stationsräume. Die Entrauchungsöffnungen liegen an den jeweiligen geometrischen Hochpunkten der Schnitträume, um Stauungen des Rauchs zu verhindern. Mithilfe von Rauchschürzen an den Treppenantritten zur jeweiligen Verteilerebene, die im Notfall bis auf eine Höhe von 2 Metern über Bahnsteigniveau herunterfahren, wird die Evakuierung der Fahrgäste sichergestellt und die notwendige Rauchfreiheit der Zugänge gewährleistet. Die durch die Einschnitte erzeugten Öffnungen von Fahr- zur Verteilerebene werden durch eine rauchschützende Verglasung geschlossen. Einschnitte, die über den Gleisen liegen, sind dabei mit einer Brandschutzverglasung in F90 ausgeführt. Neben den Anforderungen an den Personenschutz wird dadurch auch ein Mindestmaß an Bauwerksschutz sichergestellt mit dem Ziel, den Umfang der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen nach einem möglichen begrenzten Brandfall einzugrenzen.

Deckelbauweise, Aushub unter dem Deckel mit Abbruch der Tunnelröhre, Photo: Implenia / Susan Feind
Deckelbauweise, Aushub unter dem Deckel mit Abbruch der Tunnelröhre, Photo: Implenia / Susan Feind


Termin- und kostengerechter Abschluss des Projektes

Sowohl die Planungs- als auch die Bauarbeiten der Wehrhahn-Linie konnten weitestgehend im festgelegten Zeitplan und Kostenrahmen umgesetzt werden. Verschiebungen in der auf acht Jahre angelegten Bauzeit gab es lediglich durch die Sicherung archäologischer und kulturell bedeutender Funde im Zuge der Spezialtiefbau- und Aushubarbeiten. Aufgrund der hohen Transparenz sowie der Einbindung einer breiten Öffentlichkeit zu jeder Bauphase wurde die innerstädtische Großbaustelle zu jeder Zeit von einer breiten Akzeptanz der Bevölkerung begleitet. Zusammen mit der effizienten Projektorganisation sowie der integrierten Zusammenarbeit aller Planungsbeteiligten und Disziplinen, von der Planung bis zur Inbetriebnahme, konnte Düsseldorf im Februar 2016 sein bislang größtes innerstädtisches Verkehrsprojekt erfolgreich in Betrieb nehmen.

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Die Kunst des Auftrags
oder Künstlerische Gestaltung im ungestörten Betriebsablauf

Sabine Maria Schmidt

In seinem Essay „U-Bahn als U-Topie“ beschreibt Boris Groys anschaulich den Konflikt utopischen Bauens an topischen Orten.1 Während Utopien räumliche Isolationen (wie eine Insel, eine Wüste oder einen anderen Planeten) benötigen, es dort aber gemeinhin an Menschen und Materialien fehlt, bedeuten infrastrukturell ausgerüstete und bereits bewohnte Räume immer eine maßgebliche Beeinflussung und Prägung des Utopischen, das an die Lebensbedingungen angepasst werden muss. Zudem werden Utopien meist nicht fertig. Schließlich sind sie für die Ewigkeit erbaut und ihre Errichtung kann deshalb keine geringere Zeit als die Ewigkeit in Anspruch nehmen; ein Phänomen, das sich bei manchem Großbauprojekt in Deutschland der letzten Jahre ungewollt verfestigt hat. Groys Betrachtungen fokussieren sich auf die utopischen Stadtentwürfe der zwanziger und dreißiger Jahre am Beispiel Moskaus, für die zumindest auf dem Reißbrett nichts undenkbar war. Architekten und Ingenieure visionierten eine gänzlich bewegte Stadt zwischen Himmel und Erde, mit fliegenden Bauten, suprematistischen Konstruktionen und Bewohnern in ständiger Bewegung und entdeckten schlussendlich das unterirdische Reich als antipodischen (Hölle) und utopischen Raum des Unbesetzten. Mit dem größten sowjetischen Prestigeprojekt der 30er Jahre, dem Bau der Moskauer Untergrundbahn erhielt die stalinistische Ära auch ihre bauideologische Fundamentierung.2 Die reich ausgestatteten, palastartigen Metrostationen, Bilder einer utopischen Vergangenheit, Tempeln gleich, haben zwar einen bis heute gültigen Typus geschaffen3, allerdings das Verhältnis und Verhalten ihrer U-Bahn-Benutzer nie prägen können. Menschen drängen durch schmale Eingänge auf ewig langen Rolltreppen, ohne Zeit sich umzusehen oder gar zu verweilen in die schnell getakteten Züge. Damit ist die avantgardistische Utopie vom Menschen in ständiger Bewegung erfüllt, doch lässt sich die ideologische Symbolik nicht mehr entziffern, so Groys. Nicht die architektonischen und künstlerischen Bilder wurden betrachtet, vielmehr betrachteten die Bilder (und das waren lange die bohrenden Blicke Stalins und anderer Staatsvertreter) die Menschen. Noch etwas anderes verknüpfte die Metro mit avantgardistischen Utopien: das Fehlen von natürlichem Licht zugunsten eines künstlichen, neuen Lichtes im Kontext der angestrebten Elektrifizierung des ganzen Landes.4

Die Untergrundbahnen wurden schnell Ort und Anlass fiktionaler Phantasien und Verschwörungstheorien. Während sich die Moskauer Bevölkerung unter verzehrendem Einsatz an der kollektiven Realisierung des Unmöglichen, des „Sich-Einrichten ins Nichts“ machte, war die Londoner U-Bahn in der Ära der Moderne längst literarischer, filmischer und kapitalismuskritischer Topos geworden.5

Bewohner der europäischen Großstädte erfahren die U-Bahn kaum als utopischen Raum, sondern eher als pragmatisch, technische Lösung eines effizienten Personentransportsystems, das sich in vielen Metropolen als beständiges Fortschreibungsprojekt erweist und mit gänzlich unterschiedlichen städtebaulichen, historischen und geographischen Bedingungen je unterschiedlichste Lösungen erfordert. Als künstlerische Bauaufgabe, die sich abgesehen von den Ingenieursleistungen, auch architektonisch und gestalterisch auszuweisen hat, ist der Nahverkehrsraum, die Gestaltung von Stadt-, U-und Straßenbahnen samt dazu gehöriger Infrastruktur seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts lange vernachlässigt und erst nach einer Ära „autogerechten“ Städtebaus nicht zuletzt im Zuge eines international gewordenen Standort-Wettbewerbs wiederentdeckt worden. Dabei definierten die ersten Untergrundbahnen, nicht selten maßgeblich das Image einer Stadt. Die von Edward Johnston 1916 entwickelte Schrifttype, das Logo von Frank Pick von 1918 und der erste diagrammatische Linienplan prägen bis heute das Stadtbild der britischen Hauptstadt und haben gar eine eigenes Genre, auch unerschöpflichen Merchandisings, begründet.6 Die von Hector Guimard gestalteten ornamentalen Art Nouveau-Eingänge der Pariser Metro-Stationen, von denen noch immer annähernd 88 existieren, sind gar ein Exportschlager geworden. Reproduktionen finden sich in Chicago, Lissabon, Mexiko City und im MoMA New York, ein Original in Montreal.7 Der Komplex des Andrássy Boulevard in Budapest mit seiner untererdig verlaufenden U-Bahnstrecke, der ersten auf dem europäischen Kontinent, die „Földalatti“ (1896 in Betrieb genommen), wurde 2002 zum Weltkulturerbe nominiert.

Ober- und zunehmend unterirdische Straßenbahnen galten zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Inbegriff moderner Urbanität und suchten die zunehmende Dynamisierung der Städte und die stetig wachsenden Verkehrsströme zu bewältigen. Oft waren Großereignisse wie Weltausstellungen, in Budapest die Milleniumsausstellung 1896 Anlass für neue Großprojekte, um die Beförderung zahlreicher Besuchermengen zu gewährleisten; ein Trend, der sich mit den zeitgenössischen Großspektakeln der letzten Jahrzehnte fortgeschrieben hat. München, Barcelona und Athen verdanken ihre Metroerweiterungen den Olympischen Spielen.
Wie anregend und inspirierend künstlerische Interventionen in alltäglichen Nahverkehr sein können, erfahren Einwohner und Touristen gleichermaßen, wenn sie sie nur aus den zahlreichen Logo, Werbe- und Marketinginformationen, Verbotsschildern, kitschigen Lichtinszenierungen oder Las-Vegas-artigen Fassadendekorationen in den täglichen Transitzonen herausfiltern können. Herausstechende Beispiele gibt es an vielen Orten: In London locken seit den 30er Jahren Kunstwerke in die Tiefe, darunter die umfassenden Mosaiken von Eduardo Paolozzi an der Tottenham Ct.Rd aus den frühen 80er Jahren. Nur selten werden U-Bahnen dabei als architektonische und künstlerisch durchgestalteter Raum verstanden und benutzt, wie z.B. die Athener U-Bahn, in der die zentralen Stationen mit zahlreichen Fundstücken museumsähnlich ausgestattet wurden und andere als Orte für Ausstellungen und Veranstaltungen dienen. Die Stockholmer U-Bahn, die einzige in Schweden, genießt ihren Ruf als größte Kunstgalerie Europas; ein Konzept, das nun in fernöstlichen Metropolen wie Shanghai und Hongkong getoppt sein dürfte. Doch meist bleiben künstlerische Interventionen singulär, inhomogen und vor allem rar. Wer sein Fortbewegungsleben mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestreitet, will meistens nur schnell wieder weg und weiter und findet nur selten wirtliche und stimulierende Orte vor, ein großes Versagen öffentlicher Baukultur.

Die wichtigste Maßnahme zur Förderung öffentlicher Kunst an/in öffentlichen Bauten nach dem 2. Weltkrieg formulierten „Kunst am Bau-Regelungen“, die empfahlen, einen bestimmten Prozentsatz der Bausumme für künstlerische Projekte aufzuwenden; ein wichtiger, vielschichtiger, bisweilen aber auch unvereinbarer Ansatz. Diese Form der Kunstförderung ist im Laufe der Jahrzehnte von Künstlern, der Kunstkritik und den Bürgern aus unterschiedlichsten Motiven zunehmend kritisiert worden. Dass Künstler erst zu Rate gezogen werden, wenn es bereits zu spät ist, gehörte dabei zu den Hauptkritikpunkten in der Geschichte um „Kunst am Bau“ und „Kunst im öffentlichen Raum“. Um die enorme Bedeutung der Konzeption und Realisation der durchgestalteten Wehrhahnlinie zu verstehen, die in Düsseldorf und in der internationalen Presse zu Recht gefeiert wird, lohnt sich ein kleiner Rückblick und Zustandsbericht.
Auch in Düsseldorf lassen sich die historisch veränderten und entwickelten Diskurse um „Kunst am Bau“ und „Kunst im öffentlichen Raum“ im Stadtbild ablesen. Viele Impulse gingen dabei von Professoren und Schülern der Kunstakademie aus. Und ohne Frage profitierte die öffentliche Kunst Düsseldorfs nicht zuletzt vom wirtschaftlichen Aufschwung und der Finanzkraft bedeutender Unternehmen, die seit den 60er Jahren bedeutende Kunstwerke aufstellten, so 1971 die herausragende Corten-Stahl-Skulptur „Monumento“ von Eduardo Chillida vor dem Thyssen-Haus. Mit dem Neubau des Landtags am Rhein 1988 und der Einrichtung der Kunstsammlung NRW im Ständehaus (2002) gelangten Arbeiten von hochrangigen Künstlern wie Dani Karavan, George Rickey, Barnett Newman, Dan Graham, und Alf Lechner in die Landeshauptstadt. In den 80er Jahren boomte und brodelte der Diskurs um „Kunst im öffentlichen Raum“, aus dem zahlreiche neue Konzepte hervorgingen, international. 1987 nahm die Stadt Düsseldorf die BUGA zum Anlass, Kunstwerke für den Volksgarten und Südpark zu initiieren. 1988 organisierten die Düsseldorfer Künstler zum 700-jährigen Stadtjubiläum die Kunstachse "Skulptur D-88", bei der mehr als 40 Objekte zwischen Altstadt und Ehrenhof aufgestellt wurden. Allerdings verblieben nur wenige davon bis heute an Ort und Stelle.8 Aus dieser Zeit stammen auch die in Auftrag gegebenen Gemälde in der U-Bahn-Station an der Heinrich-Heine-Allee.9
Dennoch hat sich die Stadt Düsseldorf trotz ihres hohen Potentials an Künstlern, das durch die Kunstakademie beständiges Wachstum erfährt, im Kontext der Diskurse seit den 80er Jahren nicht sonderlich innovativ zum Themenbereich hervorgetan.10 Das liegt nicht zuletzt daran, dass die 1974 entwickelten und nur partiell ergänzten „Richtlinien über die Förderung zu „Kunst am Bau“ der Landeshauptstadt Düsseldorf „keinen konsistenten, kontinuierlichen und planvollen Umgang“ mit Kunst am Bau und im öffentlichen Raum erlauben“, wie die von Künstlern initiierte Arbeitsgruppe für die Einrichtung einer Kunstkommission nach Münchener Vorbild unter starker Beteiligung von Bildenden Künstlern subsumierte.11
Zudem fristet die „Kunst am Bau“ in Nordrhein-Westfalen heute eher ein Schattendasein. Im Kontext gravierender Budgetkürzungen im NRW-Kulturetat wurde 2002 die zwingende Vorschrift gestrichen, bei der Errichtung öffentlicher Bauten 0,4 bis zwei Prozent für Kunst aufzuwenden. Aktuell stehen im Landesetat nur noch Minimalbeträge zur Verfügung.

Dennoch besteht Konsens über den Wert von Kunst, da sie nicht nur kostet, sondern auch nutzt. Wie wichtig symmetrische Planungsgrundlagen für Architekten und Künstler von Beginn an sein können, zeigt exemplarisch die architektonisch-künstlerisch ausgearbeitete Wehrhahn-Linie. Dass dabei eine dezidiert ausgearbeitete, anspruchsvolle öffentliche (und mittlerweile auch private12) Auftragskultur angesichts zunehmender Interessensgemengelagen und öffentlicher Budgetknappheit grundlegende Voraussetzung ist, die weiterentwickelt werden muss, dürfte zugleich Ansporn weiterer Planungen für die Landeshauptstadt sein.

„Kunst braucht keine steifen Ideologien“, kommentierten die netzwerkarchitekten in der Pressemitteilung zur Eröffnung der Wehrhahnlinie. Grundlegend für ihre Entwurfsstrategien sei der Anspruch, aus komplexen Bedingungen, leichte und dennoch signifikante Lösungen für die Bauten zu finden, die den Bedürfnissen der Nutzer gerecht werden. Nur selten bietet sich allerdings die Möglichkeit, einen umfassenden öffentlichen Bauauftrag gesamtgestalterisch zu durchdenken. Mit der Jurierung und Beauftragung der Konzeption des in Darmstadt ansässigen Büros netzwerkarchitekten zusammen mit der Künstlerin Heike Klussmann wurde nicht zuletzt eine sinnfällige und mutige kulturpolitische Entscheidung gefällt. Denn das Gesamtkonzept eines U-Bahnhoftunnels als „unterirdisches Raumkontinuum“, das durch Bewegungslinien unter dem Erdreich und eine helle refliefartige Netzstruktur miteinander verbunden ist und durch klar definierte Raumschnitte von den jeweils individuell gestalteten Verteilerräumen der einzelnen U-Bahnstationen markiert wurde, war von Beginn an auf eine enge Zusammenarbeit von Architekten, Ingenieuren, Künstlern und Bauherrn angelegt. Zudem setzten die städtischen Auftraggeber und Gewinner mit ihrer zweiten Ausschreibung 2002 weniger auf „große Namen des Kunstmarkts“, denn auf erfahrene und versierte Positionen, die zugleich bereit waren, auf die besondere Herausforderung einer spannungsreichen und auch baubezogenen Einengung künstlerischer Auseinandersetzung zu reagieren. Für die Gestaltung der sechs Stationen wurden die fünf eng mit Düsseldorf verbundenen Künstler Ralf Brög, Ursula Damm, Manuel Franke, Enne Haehnle und Thomas Stricker eingeladen. Heike Klussmann, als unermüdlicher Hochleistungsmotor des Projektes, gestaltete zudem die sechste Station.
Weiträumigkeit, Übersichtlichkeit, großzügige Sichtbeziehungen zwischen Bahnhöfen und Verteilerebenen und soweit wie möglich der Einbezug von Tageslicht kennzeichnen die Architektur der Wehrhahnlinie. Fast ein Kuriosum der insgesamt 3,4 Kilometer kurzen Strecke ist die Möglichkeit, weit hinein in die sonst meist düsteren Tunnel zu blicken, bisweilen gar schon bis auf die nächste Station.


Dass sich zudem die Überlegung durchsetzen konnte, zugunsten einer puren architektonischen Raumerfahrung zumindest unterirdisch auf jegliche Werbung zu verzichten, ist vor dem Hintergrund durchökonomisierter Innenstädte, die ihre Besucher nur mehr als Konsumenten ansprechen, ein ungewöhnlich gewordenes Statement und Erfahrungspotential; auch wenn es wie in Düsseldorf zugleich oberirdisch mit dem luxuriösen Kö-Bogen-Areal von Daniel Liebeskind schnell wieder aufgehoben wird.

U-Bahnstationen sind meist keine wirtlichen Orte des Aufenthalts, kein Kontext, in dem nichtfunktionale Konventionen erwartet oder eingefordert werden können. Die technisierte Bewegung von Menschenmassen ist dabei strengen Regeln unterworfen, die auch von ihren Nutzern Anpassungsbereitschaft voraussetzt. Wer an einem solchen Ort künstlerisch arbeiten will, muss sich nicht nur den technischen, organisatorischen und baurechtlichen Bedingungen unterwerfen, sondern auch ein Bewusstsein dafür haben, dass es nur wenig Sinn macht, gegen diese Mechanismen zu arbeiten. Nichts wäre weniger wünschenswert als eine „Störung im Betriebsablauf“. Die Trennung zweier Gestaltungszonen in Gleistrassen und Verteilerräume durch die Definition mittels Schnittstellen, hat dieses Konfliktpotential bereits in der Grundkonzeption geschmälert.

Besondere Bedeutung für die Verbindung beider Zonen kommt dabei den ausgewählten Materialien zu, die in der Tat in der Wehrhahnlinie hervorstechen. Neben der Vielfalt künstlerischer Lösungsansätze entwickelten nahezu alle Beteiligten für ihre Stationen individuelle Oberflächen und Materialien. So selbstverständlich und leicht ihr Einsatz erscheint, so präzise und komplex ist doch ihr Entwicklungsprozess. So besteht die sich ständig verändernde Netzstruktur des „Kontinuums“ aus hochwertigen Betonfertigteilen aus rautenförmigen Grundelementen. Diese sind mit breiten Schattenfugen in unzähligen Variationen zusammengefügt und lassen eine visuell vibrierende Raumzeichnung entstehen, die als Markenzeichen der Wehrhahnlinie gelten kann. Thomas Stricker entwickelte zusammen mit den netzwerkarchitekten eine in Edelstahl geprägte Matrix, die die Anmutung eines unterirdisch-kosmisch schwebenden Raumschiffs noch verstärkt. Prägeverformte plastische Emaille-Elemente, die die Akustik des Raumes durch Veränderung der Brechungswinkel optimieren, unterstützen die akustischen Interventionen Ralf Brögs. Manuel Frankes leuchtende Glastafeln verknüpfen auf hochkomplexe Weise Handarbeit und malerischen Gestus mit industrieller Fertigung.

Wie selbstverständlich sind zudem jegliche Genredebatten überholt, verschiedenste künstlerische Praktiken und Ausdrucksformen vertreten, darunter auch Video-, Medien- und Soundarbeiten, die im öffentlichen Raum erst seit den 90er Jahren verstärkter Berücksichtigung fanden. Dass angesichts der langdauernden Planungsphasen (2002 – 2015) alle ‚bei der Stange geblieben’ sind, sich kein Konzept bis zur Realisierung überholt hat, ein Problem, das gerade technisch basierte Arbeiten betreffen kann, zeugt von der auf Langfristigkeit ausgerichteten Konzeption der Künstler. Diese setzen auf abstrahierte Formensprachen, verhaltene Metaphorik, Materialinszenierungen und kaum auf Spektakuläres, Effekte und Modisches. Vielmehr treten alle Beteiligten im Gesamtensemble als Hauptakteure zurück, ohne auf ihre spezifische Wiedererkennbarkeit und autonome Singularität zu verzichten; auch wenn es zahlreiche Kompromisse gegeben haben muss. „Es ist kaum mehr sichtbar, wo die Ingenieurskonstruktionen beginnen und die Kunst aufhört“, kommentierte Thomas Stricker euphorisch während einer Pressebegehung. Ralf Brögs Konzeption dreier Soundkorridore, die er als zukünftige „Aufführungsorte“ verstanden wissen will, weist zudem auf ein weiteres Moment. Die U-Bahn als Ort möglicher „räumlicher Praxis“ (Henri Lefebvre) sollte weiterhin jenseits seiner mobilitätssteigernden Transitfunktionen erschlossen werden. Doch was kann den zunehmend wachsenden „Nicht-Orten“ entgegengesetzt werden, den innerstädtische Orten, die durch Austauschbarkeit, Vereinzelung und Geschichtslosigkeit immer ähnlicher werden, in denen Sprache auf ein Minimum reduziert ist und soziales Leben im Alleingang bewältigt wird, wie der Ethnologie und Anthropologe Marc Augé bereits Mitte der 90er Jahre beschrieb.13

Wie bewegen wir uns in der Stadt? Was passiert in ihr? Worauf sind Räume ausgelegt, welche Schnittstellen lassen sich finden und erschließen, welche Bewegungsräume definieren? Was lässt sich aus der Stadt auch zukünftig noch aus sie heraus- und in sie hineinlesen? Diese für „Kunst im öffentlichen Raum“ zentralen Themen werden nicht nur explizit in Ursula Damms und Enne Haehnles Beiträgen thematisiert. Jede Bewegungsform entspricht einer spezifischen potentiellen Erkenntnisform. Behutsam und fast intuitiv leiten die von den Künstlern gestalteten Schnitträume auf den Verteilerebenen in die unteren Bahnebenen über, unterstützen die Orientierung und dienen damit auch der verkehrstechnisch angestrebten optimierten Beschleunigung der Nutzer. Bei Manuel Franke sind es etwa die Flächen- und Linienverläufe in den Glastafeln, bei Heike Klussmann die dynamisierten und raumgeometrisch gedrehten Zugrichtungen ihrer grafischen Bänder.
Zugleich finden sich in allen Stationen Momente expliziter ästhetischer Verlangsamung. Ein Flaneur lässt sich treiben, ihn interessiert anders als den zielstrebigen U-Bahn-Benutzer nicht das Wohin, sondern das Wo, für das deutlich mehr Zeit benötigt wird. Es wird sich so mancher Passant verdächtig machen, der sich aus dem gleichmäßigen Rhythmus der kollektiven Bewegungsströme loslöst und von einigen sanft lauernden Magnetismen in den Stationen verführen lässt, wie von den gegenläufigen langsamen Bewegungen der Planeten in den Videopanelen Thomas Strickers, den schwer dechiffrierbaren Textbotschaften Enne Haehnles, oder den nur temporär wahrnehmbaren akustischen Emanationen Ralf Brögs. Nicht die Kunst ist der Luxus, sondern die Zeit, die man sich nimmt, um ihr zu begegnen und die Stadt zu erleben.

In den künstlerischen Beiträgen der Wehrhahnlinie sind zahlreiche praktische Erfahrungen mit „Kunst am Bau“ eingeflossen und verschiedene theoretische urbanistische und soziologische Ansätze inhärent, die unterschiedlich bewertet und analysiert werden dürften.
Sie lassen sich auch als exemplarisches künstlerisches Arbeiten in Auseinandersetzung mit den Anforderungen lesen, die in unserer Gesellschaft geschaffen, aber immer weniger hinterfragt werden. Dabei ist der öffentliche Raum immer wieder neu verhandelbar. Die „Kunst des Auftrags“, die es mit jeder neuen Bauaufgabe neu zu entwickeln gilt, wird dabei einen maßgeblichen Einfluss auf die zukünftigen Ergebnisse einnehmen.


1 Boris Groys: U-Bahn als U-Topie, in: Die Erfindung Rußlands, München 1995, S. 156 – 166
2 Dietmar Neutatz: Die Moskauer Metro. Von den ersten Plänen bis zur Großbaustelle des Stalinismus (1897 – 1935), Köln/Weimar 2001
3 Die prachtvoll-stalinistischen Metro-Station als historisierte Palastarchitektur gelten zunehmend wieder als Vorbild zahlreicher Neubauten z.B. Baku, Kazan, Minsk, Tashkent oder Yekaterinburg
4 Gemäß der berühmten Formulierung Lenins: Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“, zit. n. Groys (Anmkg 1), S. 165
5 David Welsh: Underground Writing: The London Tube from George Gissing to Virginia Woolf, Liverpool University Press, 2010; David Ashford, London Underground: A Cultural Geography, Liverpool: Liverpool University Press, 2013. Ein unterhaltsames Beispiel über das Leben des einfachen Menschen in der Londoner Tube ist der 2009 restaurierte Stummfilm „Unterground“ von Anthony Asquith aus dem Jahr 1928.
6 Claire Dobbin: London Underground Maps: Art, Design and Cartography, London 2012
7 http://www.parisinconnu.com/edicules-guimard/metro-ligne-3-wagram-europe-l3-p1.html und http://www.metrodemontreal.com/art/guimard/index.html
8 Einige Bestandsaufnahmen und Projektdokumentationen finden sich in: Rolf Purpar: Kunststadt Düsseldorf, Objekte und Denkmäler im Stadtbild, Grupello Verlag, Düsseldorf, 1996/2009; Wolfgang Funken: Ars Publica Düsseldorf, Geschichte der Kunstwerke und kulturellen Zeichen im öffentlichen Raum der Landeshauptstadt, Klartext Verlagsgesellschaft 2012; Ulla Lux, Cosima Rainer, Pia Witzmann: Hell-gruen: 30 Kunstprojekte im und um den Düsseldorfer Hofgarten, Düsseldorf, 2002. Peter Schwickerath/Bernd Jansen Skulptur D-88, hrsg. Verein zur Veranstaltung von Kunstausstellungen e.V., Düsseldorf, 1988; Skulpturen im Südpark Düsseldorf 1987, hrsg. vom Kulturamt Düsseldorf 1987Ein visueller Parcours ist einsehbar unter: http://welt-der-form.net/Duesseldorf/index.html
9 1988 bekamen acht Düsseldorfer Maler den Auftrag, jeweils ein Bild im Format 400 x 300 cm für die eigens frei gelassenen Werbeflächen zu malen. Beauftragt wurden Herbert Bardenheuer, Holger Bunk, Adolphe Lechtenberg, Bertram Jesdinsky, Tina Juretzek, Julia Lohmann, Martina Kissenbeck und Fernand Roda. Die Arbeiten sind noch heute zu sehen und wurden 1988 in einem vom Kulturamt der Stadt Düsseldorf herausgegebenen Katalog dokumentiert. Das Projekt wurde allerdings schon zu seiner Entstehung selbstkritisch als eher hilfloses Unterfangen bewertet, wurde den Gemälden kaum mehr als die Rolle eines dekorativen Versatzstücks im öffentlichen Raum zugesprochen.
10 Vgl. hierzu etwa Publikationen wie Volker Plagemann (Hg.): Kunst im öffentlichen Raum. Anstöße der 80er Jahre, Köln 1989 oder Florian Matzner: Public Art. Kunst im öffentlichen Raum, München 2001, in denen Beispiele aus Düsseldorf fehlen (ausgenommen Mischa Kuballs „Megazeichen“ am Mannesmann-Hochhaus 1990).
11 Ausführlich hierzu die Homepage der Arbeitsgruppe: http://kukodus.de/index.php/kukodus-ein-handlungskonzept-fuer-die-landeshauptstadt-duesseldorf/
12 Vgl. hierzu: Siegerkunst verlangt nach einer neuen Auftragskultur, in: Wolfgang Ullrich: Siegerkunst. Neuer Adel, teure Lust, Berlin 2016, S. 114 – 129
13 Marc Augé, Non-Places: An Introduction to Supermodernity, trans. John Howe (Brooklyn and London, 2009).



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Gerhard Matzig

U-Bahn – nächster Halt: Terror
: So heißt ein amerikanischer Thriller aus dem Jahr 2013, den zu Recht kaum jemand kennt. Im Wesentlichen geht es darum, dass sich in einem Zug der in Los Angeles beheimateten Red Line (so auch der Originaltitel des Kinofilms) zwei Bomben befinden. Die eine detoniert und der Zug entgleist, um ungebremst sowie in Flammen stehend in die Tunnelwände zu rasen; die andere Bombe muss sodann von den überlebenden Fahrgästen erst noch gesucht und entschärft werden, was – im Dunkel einer beklemmenden Röhre unter der Erde – nicht eben lustig ist. So weit, so bekannt oder auch relativ unbekannt. Fest steht: Die U-Bahn dient dem Kino immer wieder als Vehikel der Angsterfahrung. Ob die Filme nun The Incident (1967) heißen oder Subway (1985), stets fungieren die Tunnel, Züge und Stationen als Kulissen des Thrills. Der Untergrund städtischer Mobilität ist in der Welt der Fiktionen, ob im Kino oder in der Literatur, meist ein Ort in der Nähe der Hölle: dunkeldüster und voller Gefahren.

Schadowstraße, Ursula Damm, netzwerkarchitekten, Photo: Implemia / Susan Feind
Schadowstraße, Ursula Damm, netzwerkarchitekten, Photo: Implemia / Susan Feind


Schon deshalb ist der Stadt Düsseldorf zu danken. Mit dem Bau der Wehrhahn-Linie seit 2001 hat sie der höllischen Fiktion nun eine beinahe himmlische Realität entgegengesetzt. Die 3,4 Kilometer lange Linie, die im Februar 2016 nach fünfzehnjähriger Planungs- und Bauzeit feierlich eröffnet wurde, definiert keinen grausamen Unort, sondern illustriert eine positive Utopie. Entstanden sind beispielhafte Räume, die nicht allein der Fortbewegung dienen, sondern die auch im Dienst von Kunst und Baukultur stehen. Entstanden sind öffentliche Räume, die unter der Erde den Stadtraum auf qualitätvolle Weise weiten. Entstanden ist letztlich eine U-Bahn-Linie, die auch ein Fingerzeig ist auf die Zukunft des öffentlichen Nahverkehrs im urbanen Raum. Jenes faustische Goethe-Wort, das man sich in der U-Bahn eigentlich noch nie vorstellen konnte, hier kommt es einem wieder in den Sinn: „Verweile doch“. Eine U-Bahn mit Verweilmodus: Das ist eine Rarität.

Franz Kafka ließ seinen „Fremden“ einst das „Wesen von Paris“ in der U-Bahn entdecken. In Düsseldorf ist nun ebenfalls das Wesen der Stadt als ambitionierte Kunstmetropole in der neuen Linie zu entdecken. Denn den reinen Fakten eines gewaltigen Infrastrukturprojektes, das einmal nicht, siehe Elbphilharmonie in Hamburg oder Willy-Brandt-Flughafen in Berlin, „aus dem Ruder laufen“ musste, um überregional bekannt zu werden, steht angenehmerweise auch der experimentelle Charakter und somit etwas Visionäres gegenüber. Auf der einen Seite also: 843,6 Millionen Euro Baukosten, Tunnelröhren mit einem Innendurchmesser von 8,30 Metern, Bahnsteige, die 90 Meter lang sind, dreizehn Aufzüge, 59 Rolltreppen, ein Tunnelbau im Schildvortrieb, das sind einige der Aspekte einer geglückten Verkehrsplanung; auf der anderen Seite aber befinden sich: sechs denkwürdige, staunenswerte U-Bahnhöfe, die – wie prognostiziert – täglich von mehr als 50.000 Menschen besucht werden.

Sie sind es nun, die aus Düsseldorf die vielleicht abgründigste Stadt Deutschlands machen: nämlich eine Stadt mit einem unterirdischen Kunstareal. Die Kunststadt Düsseldorf baut nicht einfach eine U-Bahn. Sie baut die kunstsinnigste U-Bahn Deutschlands. Wenn nicht gar des Sonnensystems.
Dass man das Sonnensystem in der U-Bahn-Station Benrather Straße räumlich suggestiv erleben kann, ist das Verdienst einer eigentlich fast unmöglichen, jedenfalls überaus selten anzutreffenden Symbiose von Verkehrsplanung, Architektur und Kunst. Der Schweizer Installationskünstler Thomas Stricker hat hier sein Konzept „Himmel oben, Himmel unten“ verwirklicht. Mithilfe großer Monitorwände, die sich über die Wartebereiche des mittig im Düsseldorfer Bankenviertel gelegenen Bahnhofs verteilen, stellt sich das Gefühl ein, man sei nicht unterirdischer Passant des Nahverkehrs, sondern überirdischer Passagier eines Raumschiffes, das in die fernste Ferne startet.

Dort, wo man anderswo in den zugigen, zugleich miefigen Kachelverliesen beim odysseehaften Herumschlurfen, auf die nächste U-Bahn wartend, normalerweise das Elend der Werbeplakate oder die unheilvoll vom Neonflackern eher verdüsterten denn erleuchteten Auslagen depressiv anmutender T-Shirt-Lädchen studiert, tut sich nun ein Blick in das bewegte Universum auf. Man sieht Merkur, Venus oder Mars vorbeiziehen, man nähert sich schwerelos dem Asteroidengürtel – bis man das Gefühl hat, nicht auf die nächste U-Bahn Richtung Pempelforter Straße zu warten, sondern auf den nächsten interstellaren Trip Richtung Milchstraße.

Benratherstraße, Thomas Stricker, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind
Benratherstraße, Thomas Stricker, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind


Man vergisst im Ambiente raffiniert zugeschnittener und bisweilen futuristisch anmutender Räume, dass man sich im Untergrund befindet. Dass man also dem Himmel leider sehr fern ist. Und dann immer diese Rolltreppen. Wobei es offenbar ein Gesetz des öffentlichen Nahverkehrs gibt, wonach von zwei Rolltreppen grundsätzlich drei wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet sind. Nicht so in Düsseldorf – so ist zu hoffen. Und wenn doch? Dann befindet man sich zum Trost an einem Ort, an dem man gerne mal ein bisschen goethehaft verweilt.
Ganz so, als wäre man im Untergrund der Stadt Düsseldorf, dort, wo die Wehrhahn-Linie die Innenstadt durchquert, gar nicht fern von allem, was normalerweise erst darüber Aufenthaltsqualität verspricht. Stattdessen ist der U-Bahnhof plötzlich in poetischer Weise das, was Tucholsky einst von Bahnhöfen als Kubaturen der Moderne einforderte: „Hier ist Aufenthalt.“
Das Wunder einer so intelligenten wie sinnlichen Neuinterpretation der 1863 in London beginnenden U-Bahn-Historie verdankt sich an der Benrather Straße nicht nur der Installation von Thomas Stricker, die den transitorischen Zwischenraum, das ewige Wartezimmer öffentlicher Mobilität, umdeutet in den Raum an sich, den Weltraum; es verdankt sich auch einem Architektenwettbewerb, der im August 2001 kühn entschieden wurde. Heute lässt sich feststellen: Der Mut von damals wird belohnt. Das Experiment ist geglückt.

Schadowstraße, Ursula-Damm, Photo: Implenia / Susan Feind
Schadowstraße, Ursula-Damm, Photo: Implenia / Susan Feind


Fünfzehn Jahre lang hat das im Wettbewerb siegreiche Büro netzwerkarchitekten (Darmstadt) – zusammen mit der Künstlerin Heike Klussmann (Berlin) – an der Wehrhahn-Linie gearbeitet. Was lange währt, wird endlich tief. Zugegeben, auch anderswo sind in den letzten Jahren ambitioniert gestaltete U-Bahnhöfe entstanden; auch anderswo, etwa in München, hat man im Zuge des erwünschten Ausbaus öffentlicher Verkehrsmittel den baukulturell lange vernachlässigten U-Bahn-Bau architektonisch aufgerüstet. Aber so sind meist Bahnhöfe entstanden, die sich ausnehmen wie eine disparate Dauerausstellung zeitgenössischer Baukunst. Mit unterschiedlichen Formsprachen. In unterschiedlichen Materialien. Und mit unterschiedlich gelungenen – bisweilen leider als reines Dekorum missverstandenen – „Kunst am Bau“-Bemühungen.

Dabei war man in der Geschichte der U-Bahn schon mal weiter. Erinnert sei etwa an die Moskauer U-Bahn, deren erste Linie ab 1935 zwischen Sokolniki und Park Kultury verkehrte – ausgestattet mit U-Bahnhöfen, wie man sie sich verschwenderischer kaum vorstellen konnte. Lasar Kaganowitsch (1893–1991), seinerzeit Volkskommissar für Transport, glaubte: „Mehr noch als alle Theater und Paläste wird die Metro unseren Geist anregen und erhellen.“ Entsprechend fielen die Stationen aus: reich an räumlicher Theatralik. Im Zuge der Moderne und ihrer imposanten Ingenieursleistungen wurden die Räume der unterirdischen Verkehrsmittel allerdings immer technischer, auch fortschrittlicher, ökonomischer – jedoch kaum schöner. So besann man sich auf die Kunst, um die im 20. Jahrhundert entstandenen oder entstehenden „Verkehrs“-Räume, die sich allein dem Kalkül der Technik, der Logistik, der Ökonomie sowie des Baurechts verdanken, etwas menschenfreundlicher zu gestalten. Gelungene Beispiele dafür finden sich etwa in Brüssel oder in Lissabon. Aber auch in deutschen Städten. Doch blieben ganzheitliche Ansätze die Ausnahme.
Anders in Düsseldorf: Hier, das ist das Besondere, haben von Anfang an Ingenieure, Stadtplaner und Architekten sowie Künstlerinnen und Künstler zusammengearbeitet. Selbstverständlich ist das nicht. Schließlich begegnen sich Welten, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Die einen planen die „Entfluchtung der Bahnsteige“ – die anderen reden vom „räumlichen Kontinuum“. Kosten darf beides nichts. Ohne Paartherapie ist so eine Beziehung kaum vorstellbar.

Die Kraft zum holistisch ausmoderierten Ganzen steckt im Entwurf und in der kommunikativen Baukultur von netzwerkarchitekten. Sie haben zusammen mit einem verständigen Tiefbau und einer aufgeschlossenen Stadtverwaltung nicht lediglich ein Tunnelsystem realisiert, in dem die Stadtbahn unterirdisch verkehrt (in Düsseldorf ist die U-Bahn eigentlich eine Art Straßenbahn, die sich ihre Energie auch unter der Erde aus den Leitungen über den Zügen holt). Wobei die Bahn auch keine sechs unterschiedlich gestalteten, mit Kunst lediglich aufgehübschten Bahnhöfe anfährt. Sondern die Architekten und Heike Klussmann haben den gesamten Raum, also Tunnel und Bahnhöfe, als „Kontinuum“ erdacht: einheitlich gestaltet und räumlich als Ganzes erlebbar.

Graf Adolf Platz, Manuel Franke, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind
Graf Adolf Platz, Manuel Franke, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind


Das heißt: Die Bahnhöfe und ihre Zonen sind lediglich Ausweitungen, Raumöffnungen der auch in der Gestaltung und in den Materialien erfahrbaren Tunneltechnik. Was anderswo als technisch normierter Banalraum zu erleiden ist, Sperrengeschosse oder Erschließungszonen nach DIN-Norm, hier ist es Licht, Form, Chiffre und Raum: Baukultur. Wo immer möglich, schaufeln die Architekten das Tageslicht bis auf den Grund der Gleisbetten. Wo immer sinnvoll, schaffen sie Aus- und Einblicke, Sichtachsen und Querbezüge. Die unterirdische Gefangenschaft veredeln sie in Raumqualität. Vor allem aber: Werbeplakate oder Kommerzläden gibt es nicht in der Wehrhahn-Linie. Die U-Bahn ist allein den Werken dieser in einem zweiten Wettbewerb (2002) ermittelten Künstler verpflichtet: Ralf Brög (Heinrich-Heine-Allee), Ursula Damm (Schadowstraße), Manuel Franke (Graf-Adolf-Platz), Enne Haehnle (Kirchplatz) sowie der schon erwähnte Thomas Stricker (Benrather Straße) und Heike Klussmann (Pempelforter Straße und Kontinuum) aus dem ersten Wettbewerb.

Städte wachsen überall auf der Welt. Verkehrlich auch in den Boden hinein. Düsseldorf bereichert diese Entwicklung mit einem einmaligen Raumexperiment: Kunst und Architektur werden zu den Taktgebern urbaner und suburbaner Mobilität. Die Fahrt in der U-Bahn wird so nicht zu einem nervigen Geruckel von Station zu Station, das man am besten mit starrem Blick aufs Handydisplay zum Checken der Emails überdauert, sondern zu einer sinnlichen Raumreise. Beschleunigt von jener Kreativität, die aus toter U-Bahn-Zeit vitale Kunst zu formen weiß.

Heike Klussmann, die die Station Pempelforter Straße künstlerisch interpretiert und durch den gesamten Bahnhof weiße Bänder wie die Bewegungslinien einer Flipperkugel gelegt hat, macht so aus einem einfachen technischen Raum ein staunenswertes, komplexes Volumen: „Aufenthalt“. Oder Ralf Brög, der die Station an der Heinrich-Heine-Allee visuell, vor allem aber akustisch als Aufführungsorte wechselnder Soundcollagen nutzt. Dem üblichen „Muzak“, also jenem Klangteppich, der aus den Fahrstuhlschächten und Kaufhäusern mittlerweile auch schon in die ersten U-Bahnhöfe suppt (gerne Mozart), setzt er Klanggegenwart entgegen. Das Publikum ist Teil davon. Auch das ist ein gewagtes Experiment.

Schadowstraße, Ursula Damm, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind
Schadowstraße, Ursula Damm, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind


Es sind also nicht die Architekturmittel unterschiedlich – sondern die künstlerischen Interpretationen von Raum und Mobilität sind es, denen die Architektur unterirdisch zu einem glanzvollen Auftritt verhilft, während sie sich oberirdisch stadträumlich geschickt der Anatomie der Stadt anpasst. Das heißt jedoch nicht, dass sich die Architektur auf die bloße Herstellung des technisch erforderlichen Raumes zurückziehen würde. Im Gegenteil: Mit einem feinen Gespür für räumliche Proportionalität, mit immer wieder überraschenden Aus- und Einblicken sowie einer durchdachten Choreografie überlegt eingesetzter Form- und Materialvariablen beweist sie durchaus Zeitgenossenschaft und Selbstbewusstsein. Aber: Sie schafft eben auch Raum – für anderes.

Etwa für die poetische Kunst von Enne Haehnle, die zwischen Schrift und Raum, zwischen Skulptur und Zeichen oszilliert, um aus der Station am Kirchplatz einen Rätseltext zu machen. Oder für die intensive Farbigkeit, die sich Hunderten von leuchtend grünen, individuell zum Linienstrom verdichtenden Glasplatten verdankt, mit denen Manuel Franke aus dem unterirdischen Abdruck des Graf-Adolf-Platzes eine Topografie der Bewegtheit formt. Und es gilt auch für die interaktive Installation, die Ursula Damm am U-Bahnhof Schadowstraße geschaffen hat: Die Welt oben tritt so in Verbindung mit der Welt unten.

Pempelforter Straße, Heike Klussmann, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind
Pempelforter Straße, Heike Klussmann, netzwerkarchitekten, Photo: Implenia / Susan Feind


Es ist zu hoffen, dass die Rheinbahn AG als Bauherrin der für andere Städte vorbildlichen Wehrhahn-Linie um ihre Kühnheit weiß. Ein von Brög beschallter Bereich im U-Bahnhof „Heinrich-Heine-Allee“ wird sich das am Computer modifizierte Vogelgezwitscher zunutze machen. Dass man mal nach Düsseldorf kommen würde, um in der U-Bahn der Rheinbahn AG, umgeben von Kunst und Architektur, zu chillen: Das ist echt abgefahren. Und ein Thrill ganz eigener Art. Der eingangs erwähnte Film „U-Bahn – nächster Halt: Terror“ müsste in Düsseldorf jedenfalls anders, menschenfreundlicher und sehr viel zukunftsweisender betitelt werden. Nächster Halt: Kunst. Es ist die große Kunst, die Stadt von morgen zu gestalten.

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Wehrhahnlinie Duesseldorf, Art andArchitecture, Spatial Conception, Raemliches Konzept, Photo Implenia, Susan Feind

Raumbildungsprinzip

Nach Abschluss der Wettbewerbsverfahren wurde die architektonische Grundkonzeption von netzwerkarchitekten zusammen mit den Ingenieuren der Ingenieurgemeinschaft Wehrhahn-Linie (IGW) umgesetzt. Der Tunnelbau im Einflussbereich des Grundwassers wurde von den Ingenieuren aus wirtschaftlichen Gründen mit einer Tunnelröhre für beide Gleise mit einer Schildvortriebsmaschine mit einem Durchmesser von 9,5 Metern geplant. Die sechs Bahnhöfe der Wehrhahn-Linie wurden als ein unterirdischer, lückenloser Zusammenhang – ein »Kontinuum« – gestaltet. Die »Einschnitte«, die als Zugangsbauwerke das Kontinuum geometrisch überlagern und räumlich öffnen wurden aus den städtebaulichen Parametern zur Lage der Ein- und Ausgänge entwickelt. Über die Zugänge gelangt der Fahrgast unmittelbar auf eine galerieartige Verteilerebene innerhalb der Bahnhofsgeometrie. Von hier aus werden großzügige Sichtbeziehungen zu den Bahnsteigbereichen ermöglicht. Über die sich öffnende Deckengeometrie im Bereich der Treppenanlagen entsteht sowohl vom Stadtraum zur Verteilerebene als auch von hier in den Bahnsteig hinein eine Dynamisierung des Raumes, die in ihrer perspektivischen Wirkung dem Eindruck von räumlicher Enge entgegenwirkt. Die in den Geometrien erzeugten Blickbeziehungen und Einsehbarkeiten in die unterschiedlichen Verkehrsebenen garantieren dem Fahrgast einfache Orientierung, Übersichtlichkeit und soziale Kontrolle innerhalb der U-Bahnhöfe. An den Bahnhöfen »Heinrich-Heine-Allee« und »Schadowstraße« kommen gläserne Oberlichter zum Einsatz, die Tageslicht bis tief in die Bahnhöfe lenken.

Die »Schnitträume« wurden durch die enge Zusammenarbeit von netzwerkarchitekten mit den Künstler/innen thematisch individuell ausgearbeitet. Verortung und Wiedererkennung werden auf diese Weise für den Fahrgast vereinfacht und die einzelnen Stationen erhalten innerhalb des Kontinuums ihre eigene Identität.

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Wehrhahnlinie Duesseldorf, Concept, Konzept, Spatial Conception, Raeumliches Konzept
Wehrhahnlinie Duesseldorf, Concept, Konzept, Access Ramps, Rampenbauwerke, Pempelforter Strasse, Longitudinal section, Photo netzwerkarchitekten

RAMPENBAUWERKE

Im Verlauf der Wehrhahn- Linie befinden sich die beiden Rampenbauwerke »Am Wehrhahn« und »Bilk«, deren Geometrien einen angemessenen Abschluss für das Thema »Kontinuum« im städtischen Kontext erzeugen. Hierzu sind die beiden Mündungsköpfe mit einer elliptischen Regelfläche aus weiß lasiertem Sichtbeton ausgerundet, wodurch die Bauwerke eine entsprechende Dynamik mit klarer Identität erhalten. Im Bereich der Rampe »Bilk« ist eine oberirdische Haltestelle integriert, die die Umsteigebeziehung zum »S- Bahnhof Bilk« ermöglicht.

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STÄDTEBAULICHER KONTEXT

Die Wehrhahn-Linie verläuft von Süden nach Norden über die unterirdischen Stationen »Kirchplatz« , »Graf-Adolf-Platz« , »Benrather Straße« und »Heinrich-Heine-Allee« und Richtung Osten weiter über »Schadowstraße« bis zur Station »Pempelforther Straße«. Über den Knotenpunkt »Heinrich-Heine-Allee« knüpft die Neubaumaßnahme an das bestehende U-Bahn-Netz an und unterquert dabei die innerstädtische Bebauung zwischen Berliner Allee, Königsallee und dem denkmalgeschützten Kaufhof an der Kö. Zwischen den Rampenbauwerken Bilk und Wehrhahn erstreckt sich der Neubau auf insgesamt 3,4 km Länge.

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Wehrhahnlinie Duesseldorf, Concept, Konzept, Urban Context, Staedtebaulicher Kontext, Photo netzwerkarchitekten
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